Seltene Lebererkrankungen – schwierig zu diagnostizieren
Etwa vier Millionen Menschen leben in Deutschland schätzungsweise mit einer seltenen Erkrankung. In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen in der EU von ihr betroffen sind.
Seltene Krankheiten sind meistens genetisch bedingt und oft chronisch, sie verlaufen fortschreitend und senken häufig die Lebenserwartung. Es gibt verschiedene seltene Erkrankungen, die zu einer Leberschädigung führen können. Dabei werden angeborene Krankheiten unterschieden von Erkrankungen, die infektiöse oder toxische Ursachen haben. Die Problematik bei seltenen Lebererkrankungen besteht darin, dass die meist genetisch bedingten Krankheiten häufig keine spezifischen Symptome verursachen und daher sehr schlecht zu diagnostizieren sind.
Es gibt spezialisierte Exzellenzzentren zur Diagnostik und Therapie von Kindern und Erwachsenen, die an einer seltenen Erkrankung leiden. Das in Hamburg koordinierte Europäische Referenznetzwerk für seltene Lebererkrankungen (ERN RARE-LIVER) hat sich das Ziel gesetzt, das Wissen und die Erfahrung ausgewiesener Hepatologie-Experten europaweit zu bündeln und allen Patienten und ihren behandelnden Ärzten zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich zur fachlichen Expertise gewährleisten zahlreiche unterschiedliche Patientenorganisationen, die dem Netzwerk angeschlossen sind, dass auch die Berücksichtigung der Patienteninteressen im Fokus steht.
Autoimmune Lebererkrankungen – Angriffe von innen
Unter dem Begriff autoimmune Lebererkrankungen wird eine Gruppe von Lebererkrankungen zusammengefasst, die sich im Krankheitsverlauf und in der Ausprägung unterscheiden, jedoch in einem wesentlichen Punkt eine Gemeinsamkeit haben: Das körpereigene Immunsystem ist fehlgesteuert. Körpereigene Strukturen werden als „körperfremd“ identifiziert und bekämpft.
Zu den autoimmunen Lebererkrankungen gehören die Autoimmunhepatitis (AIH), die Primär Biliäre Cholangitis (PBC) und die Primär Sklerosierende Cholangitis (PSC).
Alpha-1 Antitrypsin-Mangel – kann zu einer Leberzirrhose führen
Der Alpha-1 Antitrypsin-Mangel ist eine angeborene Stoffwechsel-Erkrankung, die in Deutschland wahrscheinlich mehr als 10.000 Menschen betrifft. Verschiedene Veränderungen in der Erbsubstanz führen zu einer gestörten Sekretion und Funktion des Enzyms Alpha-1-Antitrypsin, was Lungenerkrankungen zur Folge haben kann. In der Leber, wo Alpha-1-Antitrypsin gebildet wird, kann die gestörte Ausschleusung aus der Zelle zu einem Zellschaden führen. Das kann im Laufe von Jahren in einer Leberzirrhose münden. Das Risiko für eine Leberzirrhose hängt vom Genotyp, das heißt der Art der genetischen Veränderung, ab. Eine therapeutische Gabe von Alpha-1-Antitrypsin kann für die Lungenerkrankung hilfreich sein, ist für die Lebererkrankung aber nicht wirksam. Die Erkrankung der Leber kann letztlich nur durch eine Lebertransplantation behandelt werden. Substanzen, die – wie bei der Porphyrie – auf Gen-Stummschaltung beruhen und die Lebererkrankung verbessern könnten, sind aktuell in der klinischen Forschung.
Kupferspeicherkrankheit (Morbus Wilson) – sehr seltene Erbkrankheit
Die Kupferspeicherkrankheit (Morbus Wilson, Wilson-Krankheit) ist eine sehr seltene Erbkrankheit, an der etwa einer von 30.000 Menschen leidet. Die Ursache ist eine Veränderung im Erbgut, die dazu führt, dass der Körper Kupfer nicht in ausreichendem Maße ausscheiden kann. Bei den Betroffenen sammelt sich Kupfer unter anderem in der Leber. Im Verlauf kann die Kupferkonzentration einen toxischen Wert erreichen und zu einer akuten oder chronischen Hepatitis, Fibrose und Zirrhose führen.
Auch im Gehirn, den Nieren und der Hornhaut des Auges finden sich Kupfereinlagerungen und können dort Schäden verursachen. Die Krankheit führt unbehandelt fast immer zum Tod. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie verbessern die Lebenserwartung und können Leberschäden sowie neurologischen Erkrankungen vorbeugen. Die Behandlung besteht in der Regel zunächst in der Einnahme von Tabletten (Chelatoren), die über eine Kupferbindung dessen Ausscheidung in den Urin erhöhen und so überschüssiges Kupfer abbauen. Seit Kurzem sind zwei Trientine-Präparate in Deutschland erhältlich. Neue Medikamente werden aktuell erprobt und haben in Studien vielversprechende Ergebnisse und neue Daten geliefert. Die Medikamente waren gut verträglich und einfach zu dosieren. Zukünftig könnten alternative Erhaltungstherapien für den Morbus Wilson zugelassen werden, die – neben dem Verzicht auf kupferreiche Nahrungsmittel – die leitliniengerechte Therapie in Deutschland ergänzen.
„Das große Kochbuch für die Leber“ der Deutschen Leberstiftung richtet sich an alle, die sich für eine lebergesunde Ernährung interessieren. Es bietet unter anderem für Menschen mit Morbus Wilson wichtige Informationen und zahlreiche Rezepte für eine bedarfsgerechte Ernährung sowie praktische Tagesmenüpläne. Ein persönliches Rezensionsexemplar können Journalisten für ihre Berichterstattung sehr gern per E-Mail an asche@humboldt.de (Frau M. Asche) anfordern.
Lysosomale Speicherkrankheiten
Als lysosomale Speicherkrankheiten werden vererbte Stoffwechselerkrankungen bezeichnet, bei denen Fehlfunktionen im Lysosom (Zellorganelle) vorliegen. Das Lysosom ist in der Zelle für den Abbau von verschiedenen Substanzen zuständig. Werden diese Substanzen nicht mehr abgebaut, reichern sich diese in der Zelle an, was zu deren Schädigung führen kann. Ursächlich sind angeborene Veränderungen einzelner Enzyme, die im Lysosom wirken. Die Diagnose dieser Erkrankungen erfolgt über die Messung des verminderten Enzyms im Blut, gefolgt von der Suche nach den Veränderungen im entsprechenden Gen. Der Enzym- und Gen-Test ist heute über einen aus der Fingerbeere entnommenen Bluttropfen möglich (Trockenblut-Test); man kann gleichzeitig nach Morbus Gaucher, Morbus Niemann-Pick und Lysosomale saure Lipase-Defizienz (LAL-D) suchen. Viele der lysosomalen Speicherkrankheiten kann man heute mit einer Enzymersatztherapie erfolgreich behandeln.
- LAL-Mangel – eine extrem seltene Krankheit
Eine Fettlebererkrankung kann auch die Folge einer anderen Ursprungserkrankung sein wie beispielsweise LAL-Mangel. Dies sollte insbesondere bei schlanken Patienten mit ausgeprägter Fettleber berücksichtigt werden. Diese autosomal rezessiv vererbte Fettspeicherkrankheit kann unter anderem zu einer Lebererkrankung führen. Unter normalen Bedingungen produziert der Körper Lysosomale Saure Lipase (Lysosomal Acid Lipase = LAL), welche Fette spaltet. Bei einem LAL-Mangel kann der Körper nicht genug oder gar keine Enzyme produzieren und es kommt zur Speicherung der nicht abgebauten Fette im Körper. Neben den Blutgefäßen kann vor allem die Leber von der übermäßigen Ansammlung von Fetten betroffen sein. Je weniger Enzym im Körper gebildet werden kann, desto früher tritt die Krankheit auf und desto schwerer sind die Symptome.
Die sehr seltene, besonders frühe Verlaufsform des LAL-Mangels, die sogenannte „Wolman-Krankheit", tritt bereits in den ersten Lebensmonaten nach der Geburt auf und führt sehr rasch zum Leberversagen. Die verzögert oder später eintretende Verlaufsform des LAL-Mangels, die „Cholesterinester-Speicherkrankung“ (CESD), kommt etwas häufiger vor. Sie kann im Erwachsenenalter zu einer Leberfibrose und dann Leberzirrhose führen. Insgesamt ist der LAL-Mangel eine extrem seltene Krankheit – nach der Definition, dass davon weniger als 20 Patienten je Million Menschen der Allgemeinbevölkerung betroffen sind.
- Morbus Gaucher – starke Vergrößerung der Leber
Neben dem LAL-Mangel gibt es eine Vielzahl weiterer seltener Lysosomaler Speicherkrankheiten, viele davon treten bereits im Kindesalter auf, wie der „Morbus Gaucher“, bei dem sich durch erblichen Mangel des Enzyms Glucocerebrosidase nicht abgebaute Membranbestandteile in Fresszellen anhäufen und zu Schäden, unter anderem auch in der Leber, führen können: Die Leber kann sich deutlich vergrößern und die doppelte Größe einer gesunden Leber erreichen. Dadurch dehnt sich der Bauch aus, sodass ein Druckgefühl im Bauchraum entsteht.
Bei unspezifischen Beschwerden sollte der behandelnde Arzt auch an eine Kontrolle der Leberwerte denken und seltene Leberkrankungen als Ursache in Betracht ziehen. Viele seltene Leberkrankungen sind behandelbar.
Porphyrien – Symptome an Haut und im Magen-Darm-Trakt
Porphyrien sind ebenfalls Stoffwechselerkrankungen. Hier können verschiedene Schritte im Aufbau des roten Blutfarbstoffs Häm betroffen sein, wodurch sich sehr unterschiedliche klinische Symptome erklären. Durch angeborene Veränderungen in bestimmten Enzymen, die dann nicht ausreichend arbeiten, kann es zu einem Aufstau von Häm-Vorläufersubstanzen kommen, die für verschiedene Symptome an Haut und im Magen-Darm-Trakt verantwortlich sind. Die für die Leber relevante Porphyrie ist die akute intermittierende Porphyrie. Bei dieser ist ein Enzym mit dem Namen Porphobilinogen-Desaminase in der Leber verändert. Seit 2020 ist mit Givosiran ein neuer Wirkstoff für die Behandlung dieser Porphyrie zugelassen, der ein Gen vorübergehend stumm schaltet, sodass die Häm-Vorläufer nicht mehr so zahlreich anfallen und die Symptome gelindert werden.
Mit der small interfering RNA (siRNA, sogenannte „Gen-Schere“) Givosiran konnten in einer Phase-III-Studie die Anzahl der Schübe – und somit Sofortbehandlungen, stationäre Aufnahmen sowie Gaben von intravenösen Hämin – pro Jahr um 74 Prozent gesenkt werden. Aktuelle Fallberichte von Patienten, die sich für Therapien mit dem neuen Wirkstoff entschieden, belegen nach wenigen Monaten erste Hinweise auf Besserung. Die Diagnose einer Porphyrie erfolgt durch den Nachweis von Porphyrin-Vorläuferstufen im Urin oder Blut. Man unterscheidet verschiedene Formen der Porphyrie. Symptome manifestieren sich häufig in Schüben. Auslöser können Infektionen, Alkohol, Rauchen aber auch bestimmte Medikamente sein.
Die Zöliakie (Sprue) ist eine immunologisch bedingte Glutenunverträglichkeit, die primäre Entzündungsreaktionen im Dünndarm verursacht. Die Zöliakie tritt meist im Säuglings- und Kleinkindalter erstmalig auf, kann aber in jedem Alter diagnostiziert werden. Neben klassischen Symptomen wie Durchfall, Blähungen, Anämie oder Kleinwuchs wird bei den Betroffenen häufig eine Erhöhung der Aktivität von Transaminasen im Serum beobachtet, die auf eine Entzündung der Leber hindeutet. Diese Erhöhung der Transaminasenaktivität kann der initiale Hinweis auf eine Zöliakie sein. Bei unklarer Lebererkrankung sollte der Arzt auch an eine Zöliakie denken. Häufig kommt es unter glutenfreier Kost zu einer Normalisierung der Transaminasen. Eine lebenslange glutenfreie Ernährung kann Komplikationen verhindern. Zur Vorbeugung von Mangelerkrankungen können Vitaminpräparate eingenommen werden.
Aktuelle Presseinformationen der Deutschen Leberstiftung zum Thema seltene Lebererkrankungen finden Sie hier:
World Liver Day: Deutsche Leberstiftung fordert verstärkte Aufklärung für Lebererkrankungen (15.04.2024)
Weltgesundheitstag: Deutsche Leberstiftung fordert zur Früherkennung von Erkrankungen der Leber auf (02.04.2024)
Deutsche Leberstiftung zum Tag der gesunden Ernährung: Auch für die Leber ist Ernährung ein „Top-Thema“ (01.03.2024)
Deutsche Leberstiftung informiert zum „Tag der Seltenen Erkrankungen“: auch die Leber kann betroffen sein (22.02.2024)
Lebertumoren – Prävention und Früherkennung: Deutsche Leberstiftung sensibilisiert zum Weltkrebstag 2024 (31.01.2024)
Deutsche Leberstiftung vergibt Freistellungs-Stipendium für klinisches hepatologisches Projekt (29.01.2024)
Hepatologische Forschungsvernetzung durch zwei Stipendien der Deutschen Leberstiftung gefördert (04.07.2023)